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Argentinien für Rollstuhlfahrer – ein Fazit

Nach einem Monat in Argentinien im Oktober 2013 ziehe ich ein Fazit aus Sicht eines Rollstuhlfahrers. Dabei ist klar, dass mein Urteil rein subjektiv ist und eine Einzelmeinung darstellt, da wir ja auch nur einen kleinen Teil bereisen konnten. Vielleicht haben andere Rollstuhlreisende ganz andere Erfahrungen gemacht – dann postet diese bitte!

Wie rollstuhlgerecht ist Argentinien?

Folgend werden in verschiedenen Kategorien Punkte von 1 (sehr schlecht) bis 10 (hervorragend) vergeben.

Transport – 8 Punkte

Argentinien ist ein riesiges Land und so bleibt es nicht aus, dass man im Land fliegen muss (wir empfehlen die größte Fluglinie Aerolineas Argentinas). Auch die Inlandsflughäfen verfügen über Assistenten, die mich mithilfe eines Kabinenrollstuhls bis zum Sitzplatz im Flugzeug gebracht haben. In Buenos Aires kann man spezielle Behindertentransporte mieten, die aber sehr teuer sind. Wir haben uns mit sog. Camioneta-Taxis beholfen (Renault Cangoo oder Citroen Beolingo) die einen etwas höheren Einstieg, weiter öffnende Türen und Platz für den Rollstuhl im Kofferraum bieten. Die normalen Taxis sind eher klein und niedrig.
In Buenos Aires gibt es fast ausschließlich Niederflurbusse mit mindestens einem Rollstuhlplatz. Beim Einstieg helfen die anderen Passagiere. In Salta gibt es fast keinen rollstuhlgerechten Bus und leider auch so gut wie keine Camioneta-Taxis, so dass wir hier die meisten Wege zu Fuß zurücklegen mussten. Für die Rundreise haben wir mit etwas Mühe eine Firma gefunden, die Camonionetas vermietet und die wir wärmstens empfehlen können (www.andinascarrental.com.ar).

Infrastruktur – 6 Punkte

In Argentinien ist jeder Hausbesitzer auch für die Beschaffenheit des Gehsteigs vor der Haustür verantwortlich – was dazu führt, dass alle 10 m ein neuer Bodenbelag beginnt. Oft spiegeln sich Alter und Zustand des Anwesens im Gehweg wider. Nicht selten sind zwischen den Grundstücken Stufen im Gehweg zu überwinden. Nur an den wichtigsten Straßenkreuzungen gibt es Rampen für Rollstühle oder Kinderwägen. Ein Ausweichen auf die Straße ist bei der Fahrweise der Argentinier auch nicht immer ratsam, zudem auch einige Straßen Schlaglöcher und Risse in der Fahrbahn aufweisen. In kleineren Orten gibt es oft keine asphaltierten Straßen, sondern Sandpisten. Einen Monat Argentinien hat mein Rolli aber trotzdem ohne größere Schäden überstanden. Hier seht ihr eine Auswahl der „schönsten“ Gehsteige, die uns so begegnet sind.

Hotels – 7 Punkte

Vom 5-Sterne-Boutique-Hotel bis zum Hostel mit Großraumschlafsaal findet man alles in Argentinien. Seit rund zehn Jahren müssen neugebaute Hotels über ein rollstuhlgerechtes Zimmer verfügen, wobei einige den Begriff „rollstuhlgerecht“ sehr weit gefasst haben. Das Bad ist oft ebenso klein, wie in den anderen Räumen. Nur selten haben wir wirklich rollstuhlgerechte Hotelzimmer mit Griffen am Klo und einer Dusche ohne Stufe gefunden. Da aber alle Bäder über einen Abfluss im Boden verfügen, haben wir oft das Klo einfach zur Sitzdusche umfunktioniert. Gerade in Privatunterkünften oder Hostals sind die Räumlichkeiten größer und für den Rollstuhl besser geeignet. Am besten geht ihr vor eurer Reise auf http://www.reisenmitrollstuhl.de oder ruft vor der Anreise im Hotel an.

Essen & Trinken – 9 Punkte

Ein Gesetz in Argentinien schreibt Restaurants vor, rollstuhlgerechte Toiletten einzurichten. Daher findet man in sehr vielen – noch so kleinen – Lokalen ein behindertengerechtes Klo. Trotzdem sind am Eingang vieler Restaurants eine oder mehrere Stufen zu überwinden, selten gibt es einen rollstuhlgerechten Zugang mit Rampe. Selbst in der verwinkeltsten Kneipe wurde aber für meinen Rollstuhl ein Plätzchen freigeräumt und bei mehreren Stufen standen sofort Helfer zur Verfügung – vom Tellerwäscher bis zum Chefkoch.
Wie in allen Metropolen gibt es auch in Buenos Aires alles vom traditionellen Asado bis zum vegetarischen Sushi. In den ländlichen Regionen erscheint die Küche dagegen auf den ersten Blick etwas eintönig – vor allem Empanadas (carne, queso, quachi) und Parillas (Gegrilltes). Jedoch stößt man oftmals im hintersten Bauerndorf auf Spitzenlokale mit regionalen Spezialitäten und ausgezeichneter Weinkarte.
Gesunde Ernährung ist auch in Argentinien ein Thema. In den Großstädten sprießen die Bioläden und Ökobäckereien wie Pilze aus dem Boden. Wer aber auf eine glutenfreie oder kohlenhydratarme Ernährung angewiesen ist, wird es in argentinischen Restaurants nicht ganz leicht haben. Vegetarier finden dagegen ein reiches Angebot an Pasta, Pizza und Ensaladas (Salate) auf fast jeder Speisekarte.

Sicherheit – 3 Punkte

Beim diesem Thema fällt es mir schwer, objektiv zu sein, da wir bereits am dritten Tag in unserem Apartment in Buenos Aires ausgeraubt wurden. Daher sollte man in der argentinischen Hauptstadt immer nur Hotels oder Unterkünfte mit Sicherheitspersonal an der Tür buchen (siehe auch: Buenos Aires – eine Hassliebe)!
Ganz anders ist das Bild im Rest des Landes. In Salta oder Iguaçu haben wir uns immer sehr sicher gefühlt. Die Geschäfte sind nicht – wie in Buenos Aires selbst am Tag – abgeschlossen bzw. nur über eine Klingel betretbar und auch die Wohnhäuser gleichen nicht Hochsicherheitsgefängnissen. Nichts desto trotz tragen auch hier die Argentinier ihre Tasche vor dem Körper und lassen keine Wertsachen unbeaufsichtigt.

Sehenswürdigkeiten – 10 Punkte

Viele Sehenswürdigkeiten sind barrierefrei oder verfügen über einen gesonderten Zugang. Es stehen immer und überall helfende Hände bereit. In Iguaçu waren alle Wege barrierefrei und die Cataratas (Wasserfälle) über metallene Stege erreichbar. Alle Museen, die ich besucht habe, hatten Lifte, so dass ich meistens alle Ebenen problemlos erreichen konnte. Viele der Rampen sind sehr steil, aber mit fremder Hilfe überwindbar. Die meisten öffentlichen Museen sind für Behinderte unter ihre Begleitperson kostenlos. Die größte Sehenswürdigkeit sind überhaupt die einmaligen Naturlandschaften, die man größtenteils gut vom Auto aus bewundern kann.

Gesundheitsversorgung – 8 Punkte

Argentinien verfügt über eine gute und für alle kostenfreie Gesundheitsversorgung, wie ich während einer Lungeninfektion am eigenen Leib feststellen konnte. Neben den öffentlichen Krankenhäusern, die vielleicht technisch nicht immer auf dem allerneuesten Stand sind, gibt es noch sehr gut ausgestattete Privatkliniken, für die man allerdings zahlen muss. In den größeren Städten gibt es außerdem sehr gut ausgebildete Physiotherapeuten. Viele Argentinier scheinen ebensolche Hypochonder wie ich zu sein, zumindest würde das erklären, warum man an jeder zweiten Straßenkreuzung eine Apotheke (Farmacia) findet.

Umgang mit Behinderten – 8 Punkte

Die Argentinier sind in allen Situationen sehr hilfsbereit und gehen mit Behinderten sehr ungezwungen um. Beim Einsteigen in den Bus oder beim Überwinden von hohen Stufen, waren immer helfende Hände zur Stelle. Uns fiel aber auf, dass es auf Gehwegen nicht üblich zu sein scheint, einem Rollstuhl, Kinderwagen oder ähnlichem sofort ohne Weiteres den Weg frei zu machen. Aber mit einem lauten und bestimmten „Permisso!“ haben wir uns den Weg immer freigeräumt.

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Tags: Argentinien, Reisetipps für Rollstuhlfahrer

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