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Buenos Aires mit dem Rollstuhl – eine Hassliebe

Buenos Aires – der ‚Big Apple‘ von Lateinamerika war eine Rollstuhlfahrererfahrung mit Licht und Schatten. Wie ihr unten lesen werdet, gibt es viele „Pluspunkte“ für die so kultur- und fasettenreiche Stadt, aber eben auch mehrere Minuspunkte für schlechte Gehwege und die kritische Sicherheitslage. Selbst die Argentinier sind unterschiedlicher Meinung. Juan, ein echter Porteño, wie sich die Einwohnter von Buenos Aires nennen, behauptet: „Es gibt keinen tolleren Ort als diesen!“ Dagegen erzählte uns Javier, ein Freund aus Salta, er habe Buenos Aires wegen der hohen Kriminalität den Rücken gekehrt. Wir haben uns also entschlossen, eine Plus- und Minus-Liste zu erstellen und den geneigten Leser selbst entscheiden zu lassen, ob er Buenos Aires von seiner Reisezielliste streichen will oder nicht.

PLUS: Transportmöglichkeiten für Rollstuhlfahrer

Einen guten Überblick über die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Buenos Aires bietet der Buenos Aires Tourist Bus (www.buenosairesbus.com), der über einen extra Rollstuhlplatz verfügt und für Rollstuhlfahrer und ihre Begleitperson kostenlos ist. Der Busfahrer ist beim Einstieg behilflich. Die Fahrt dauert allerdings je nach Verkehr drei Stunden und länger. Die andere Möglichkeit der Fortbewegung sind Taxis. Wir fanden vor allem die sog. „Camionetas“ praktisch, die einen höheren Einstieg und Platz für den Rolli im Kofferraum bieten.
Die Taxifahrer von Buenos Aires sind seeehhhhr kommunikationsfreudig und haben zu allem etwas zu sagen, was ihre Stadt, Argentinien und die Welt im Allgemeinen betrifft. So wurde uns berichtet, dass die Zahl der Hunde in BA deswegen in den letzten Jahren so ansteigt, weil immer mehr Singlehaushalte entstehen und die Menschen sich aus Einsamkeit einen Hund anschaffen. Außerdem wurde der Tango in den zwanziger Jahren aus Frankreich reimportiert, davor war es nämlich nur ein Tanz für „Nutten und Matrosen“… Ach ja, und wusstet ihr, dass Hitler gar nicht 1945 in Berlin gestorben ist, sondern noch Jahrzehnte im Süden von Argentinien gelebt hat?…

MINUS: Der Verkehr in Buenos Aires

Die vier U-Bahnlinien sind nicht wirklich mit dem Rollstuhl nutzbar, weil nur wenige Stationen ohne Stufen erreichbar sind und auch in die Busse kann man nicht selbstständig einsteigen. Wer außerdem keine lauten, abgasverseuchten Avenidas erträgt und sich nur ungern beim Überqueren von Straßen helfen lassen will, für den ist Buenos Aires nicht das richtige.
Fast alle Busse sind sogenannte Niederflurbusse und haben einen oder mehrere Rollstuhlplätze, allerdings braucht man beim Einsteigen Hilfe, weil es keine Rampen gibt. Der Busfahrer fährt nur an den Bordstein und senkt den Bus seitlich ab. Uns haben aber immer andere Passagiere beim Reinheben des Rollstuhls geholfen. Wer wie ich lieber längere Strecken rollt oder geschoben wird, muss mit sehr holprigen Gehsteigen voller Schlaglöcher, Stufen und Hundekot zurechtkommen.

PLUS: Das fantastische Essen

Wir folgten wie immer unserer Regel, nur in Lokale zu gehen, in denen bereits viele Menschen – wenn möglich Argentinier – saßen. Am besten gefielen uns die Parilla-Restaurants, in denen vor allem Gegrilltes (parillas), aber auch Pizza, Pasta und Salate (ensaladas) serviert werden. Die Portionen sind riesig, daher haben wir uns meistens eine Vorspeise und einen Hauptgang geteilt. Der Service ist immer sehr freundlich – besonders gegenüber Touristen, von denen im Gegensatz zu den Porteños rund 10 % Trinkgeld zu erwarten sind. Wer hofft, dass die Bedienung von sich aus die Bestellung aufnimmt oder das Essen abräumt, sollte viel Zeit mitbringen. In Argentinien ist es üblich, den Kellner (mozo) zum Tisch zu rufen.

MINUS: Essenszeiten

Das typische Frühstück besteht aus einem Kaffee und einem süßen Teilchen oder Toast – mit viel Glück gibt es noch einen Orangensaft. Gerade für uns Deutsche natürlich viel zu wenig. Auch essen die Argentinier ihr Fleisch gerne durch. Wer sein Steack „blutig“ (crudo) bestellt, kann hoffen, dass es noch eine leichte Rosafärbung im Inneren aufweist. Auch wenn wir einige Anzeichen für eine wachsende Vegetarier- und Ökobewegung in Buenos Aires feststellen konnten, gibt es für Vegetarier als Optionen lediglich Pasta, Pizza und Salate auf der Speisekarte.

Eine echte Herausforderung waren für uns die Essenszeiten. Das Mittagessen findet zwischen 12 und 15 Uhr statt, zwischen 17 und 19 Uhr wird Tee mit Toast und Kuchen gereicht und so öffnen die meisten Restaurants abends erst ab 20 oder 21 Uhr. Vor allem zu Beginn unserer Tour, als wir noch mit dem Jetlag gekämpft haben, hatten wir daher meist ein überschaubares Abendessen mit Sandwiches und Kuchen in einem Café und lagen schon im Bett, wenn die Argentinier mit Kind und Kegel um 22 Uhr beim Italiener um die Ecke einkehrten.

PLUS: Die kunstsinnigen Porteños

Wo in Deutschland ein schlichtes Schild auf die „Bäckerei Meier“ hinweist, hängt über der Panaderia in Buenos Aires ein liebevoll gemaltes Bild, das neben bunten Verzierungen und dem Namen die wichtigsten Produkte darstellt, die es hier zu kaufen gibt. Daneben sieht man an unzähligen Hauswänden in Buenos Aires gemalte oder gesprühte Kunstwerke, für die der Begriff „Graffiti“ unzureichend wäre. Häufig sind es Auftragsarbeiten der Hausbesitzer. Und nicht zu vergessen die große Musik- und Tanzkultur – Tango aber auch andere lateinamerikanische Tänze. Unser Vorschlag: statt einer der überteuerten Tangoshows anzusehen, sollte man lieber eine der Milongas, Tanzabende, an denen man entweder anderen beim Tanzen zusehen oder sogar selbst unter professioneller Anleitung die Tänze erlernen kann.


Unser Guide Juan denkt, dass dieser Drang der Porteños, sich in irgendeiner Form künstlerisch ausdrücken zu wollen, aus der bewegten Geschichte Argentiniens mit jahrzehntelanger Unterdrückung durch Militärregimes herrührt. Wie dem auch sei, in Buenos Aires jedenfalls dringt die Kunst aus allen Poren.

MINUS: Kunstgenuss nur in den Morgenstunden

Klar, wenn das Abendessen erst um 24 Uhr endet, dann beginnt das Live-Konzert eben auch erst um 2 Uhr morgens (!). Wer will, kann sich auch eine der teuren Tangoshows (ab 100 US$ pro Person) ansehen, die schon ab 21 Uhr beginnen. Es gibt außerdem in Buenos Aires kein wirkliches Weggehviertel. Die Veranstaltungsorte sind über die ganze Stadt verteilt, so dass man abends meistens große Distanzen mit dem Taxi zurücklegen muss.

PLUS: Architektonische Meisterwerke in Buenos Aires

Wegen der starken Europaorientierung (die meisten Porteños haben europäische Vorfahren) sind viele Gebäude in der Stadt Vorbildern aus Italien, Spanien und Frankreich nachempfunden. Auch ein Besuch des Cementerio de la Recoleta (Friedhof von Recoleta) mit seinen beeindruckenden Gruften aus verschiedenen architektonischen Epochen ist sehr empfehlenswert. Das Museo Bicentenario neben der Casa Rosada, dem Regierungssitz, gibt mit Videos und vielen Ausstellungsstücken einen guten Überblick über die Geschichte von Buenos Aires – leider nur in Spanisch. Im ebenfalls sehr interessanten Museo Evita gibt es ein ausgezeichnetes Restaurant mit vielen Portraits der großen Dame von zeitgenössischen Künstlern.

Alle Museen sind rollstuhlgerecht umgebaut und verfügen über geeignete Toiletten. Ebenfalls beeindruckend sind die architektonischen Unterschiede der einzelnen Stadtteile – vom neuen hippen Palermo mit seinen niedrigen alten und hohen topmodernen Wohnhäusern über das historische Viertel La Boca mit vielen bunt bemalten Hausfassaden, bis zum Diplomatenviertel Belgrano mit seinen herrschaftlichen Villen.

RIESIGES MINUS: Buenos Aires ist nicht sicher!

„Die Kriminalität in Buenos Aires scheint unverständlicher Weise einfach so hingenommen zu werden“, erklärte unsere Sprachlehrerin Emilia in Salta. Da wir selbst in unserem Apartment in Palermo ausgeraubt wurden, empfehlen wir jedem, in Buenos Aires besonders vorsichtig zu sein: Man sollte nur sichere Unterkünfte buchen (entweder Hotels oder Apartments mit Sicherheitsschlüssel und 24-h-Portier). Auch auf der Straße ist Vorsicht geboten, man sollte vermeiden, Schmuck und Handys offen zu zeigen und darauf achten, dass einem – vor allem nachts – niemand folgt. Das klingt zwar alles ein wenig wie aus einem Hitchcockfilm, allerdings wurde uns von mehreren Seiten bestätigt, dass in Buenos Aires eine regelrechte Mafia existiert, die sich auf Touristen spezialisiert hat. Da die Polizei ihre Präsenz auf den Straßen erhöht hat, verlagert sie ihr „Geschäft“ nun auf die Unterkünfte der Urlauber. Die Polizei zeigt bei der Bekämpfung des Problems nicht wirklich viel Engagement, es gibt sogar Gerüchte, dass sie teilweise mit den Kriminellen zusammenarbeitet…

Überwiegen also eher die positiven oder die negativen Erfahrungen? Schreibt uns, was ihr denkt! Ehrlich gesagt sind Verena und ich noch unentschlossen. Zugegebener Maßen verklärt sich gerade der Blick auf das weit entfernte Buenos Aires etwas, weil wir gerade im friedlichen Salta in einem großen Garten unter einem Feigenbaum sitzend diese Zeilen schreiben, den singenden Vögeln und dem Rauschen der Blätter lauschen, während die gefährlichste Kreatur in unsere unmittelbaren Nähe eine schlafende Katze namens „Uschi“ ist.

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Tags: Argentinien, Reisetipps für Rollstuhlfahrer

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